Christina Mathis, Copywriter und Texterin

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Weinbau mit Herz

Ein kleines Weingut in Meersburg ist eines der erfolgreichsten Privatweingüter am Bodensee. Seine Einzigartigkeit verdankt es der Handlese und dem „schnellsten Winzer Deutschlands“.

Mittwoch. 7.55 Uhr. Weingut Geiger. In einem kleinen Ort oberhalb von Meersburg am Bodensee. Elf ErntehelferInnen stehen auf dem Hof von Thomas „Edi“ Geiger. „Zwei Busse müssten reichen“, sagt Andreas Graf, einer der vier Festangestellten am Hof. Dann fahren sie in weißen Kleintransportern los, die Straße hinunter und hinein in die fünf Minuten entfernten Weinberge von Riedetsweiler.

„Jeder nimmt sich einen Eimer, eine Schere und Handschuhe“, sagt Andreas. Alle sammeln sich vor den Weinstockreihen. „Ein erfahrener Leser und ein Anfänger teilen sich eine Reihe – jeder eine Seite“, erklärt der 55-Jährige. Nur die guten Trauben kommen in die Eimer, die faulen oder schimmligen Trauben, die nach Essig riechen, werden mit der Schere von Hand rausgekratzt.

Ob die Trauben mehr oder weniger faul sind, hängt vom Wetter ab. Das beste Klima für den Weinbau ist ein milder Sommer und nicht zu viel Regen. „Am besten sind zwei Wochen vor der Lese trockene, warme Tage, damit die Trauben mehr Süße kriegen“, sagt Markus, ein Erntehelfer aus Ostfriesland, der bei Edi seit sieben Jahren auf dem Hof lebt. Je mehr Sonne die Trauben bekommen, desto süßer der Geschmack. „Die Trauben sollten besser keine hundert Oechsle haben – das will der Chef nicht“, sagt der 36-Jährige. Mit dem Oechsle-Grad wird in der Winzersprache die Zuckerkonzentration, die in den Trauben enthalten ist, angegeben. Diese gibt Aufschluss über den späteren Alkoholgehalt des Weins.

Zuerst wird Müller-Thurgau, eine am Bodensee typische weiße Rebsorte, geerntet. Sie wurde 1882 erstmals von Dr. Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau in der Schweiz gezüchtet. Dem Müller-Thurgau haftete früher der Ruf eines anspruchslosen Massenweins an. Heute ist er ein hochwertiger Wein, den fast alle Winzer in der Bodenseeregion anbauen. Die Trauben schmecken süßlich, aber allzu viele sollte man davon nicht essen. Schon beim Abschneiden riecht man die Gärung einzelner Trauben – ein säuerlicher Geruch, der einem tief in die Nase steigt.

Im Akkord werden die Weintrauben abgeschnitten und in die Eimer geschmissen, es muss schnell gehen. Immer wieder schreien Markus und der zweite Andreas, ein 45-jähriger Gastarbeiter aus Polen: „Eimer!“ Diese werden unter den Weinstöcken durchgereicht und auf einen Traktor, der zwischen den Reihen steht, in eine große weiße Kiste geleert. Ist eine Reihe fertig, wird nochmal kontrolliert, ob auch keine Trauben vergessen wurden.

Edi bezahlt seine HelferInnen überdurchschnittlich gut – zwölf Euro pro Stunde – er weiß, dass es heutzutage nicht einfach ist, Leute zu finden. „Wir machen das nicht wegen dem Geld, sondern weil es uns Spaß macht“, sind sich zwei Frauen Ende Vierzig aus der Region einig. Auch Saisonarbeiter Thomas aus Ravensburg und Angestellte Janka aus Kroatien, die „gute Seele“ am Hof, helfen bei der Weinlese mit.

Hier wird alles von Hand gemacht. Viele andere Weingüter lesen ihren Wein mithilfe von Maschinen, „Vollernter“ heißen die. Damit werden alle Weintrauben geerntet, auch die Schlechten. Die werden dann erst später, wieder von Maschinen, gefiltert. „Aber niemals so gründlich wie vorher bei der Lese von Hand“, sagt Thomas.

Wann geerntet wird, entscheidet immer der Winzer selbst. In der Regel meist von Ende September bis Ende Oktober. „Das wird ein guter Jahrgang, der Sommer war nicht so heiß wie letztes Jahr“, sagt der polnische Andreas, bevor er die Lese des Müller-Thurgaus für beendet erklärt.

Jetzt ist der Grauburgunder an der Reihe, in ihm steckt der Ruländer, eine rotgräuliche Rebsorte. Der Grauburgunder hat sich in kürzester Zeit zu einem Weißwein der gehobenen Klasse entwickelt. Die Trauben an diesen Stöcken sind viel fester als beim Müller-Thurgau und kaum faul. Das Ernten geht leicht, ganze Traubenstämme können abgeschnitten werden. Die Eimer füllen sich schnell und die monotone Arbeit bekommt etwas Meditatives. Die HelferInnen sprechen über das Leben, die Vögel zwitschern und die Sonne scheint immer wieder durch die großen Wolken hindurch. Es ist ein milder, angenehmer Herbsttag. „Der Wind zieht mir ganz schön kräftig durch die Knochen“, sagt Janka.

Den Weinstöcken schadet das nicht, nur Hagel und heftige Stürme bringen eine ganze Jahresernte in Gefahr. „Für uns ist die Weinlese die Kür“, sagt Saisonarbeiter Thomas. Die richtig harte Arbeit finde den ganzen Sommer über statt. „Wir gehen sicher zwanzig Mal durch alle Weinstöcke hindurch, schneiden Stöcke nach, Äste und Blätter weg, damit die Trauben genug Licht und Sonne bekommen“, erzählt er. Bei vier Hektar Wein- und zweieinhalb Hektar Obstfläche ist das eine ganz schöne Menge, auch wenn das Weingut Geiger damit zu den kleineren in Deutschland gehört.

Mittagspause. Klebrig, müde und jetzt schon mit Schmerzen im Rücken aufgrund des ständigen Beugens geht es nach vier Stunden in den Weinbergen zurück auf den Hof. Dort wartet Edi mit seinem gewohnt breiten Grinsen im Gesicht und fährt mit dem Gabelstapler die Kisten mit den geernteten Trauben umher. Er schüttet die Weintrauben in eine 50.000 Euro Maschine, die die Trauben von den Ästen trennt. Die Trauben werden dadurch gequetscht und es entsteht Maische, eine klebrige Saftmasse. „Davor gebe ich ein bisschen Kohle drauf, das nimmt das Aroma der faulen Trauben raus“, sagt Edi. Das „Rauskratzen“ während der Lese zahle sich später aus. „Aus faulen Trauben kannst du keinen guten Saft machen“, sagt er.

Der 55-Jährige produziert keine Weine für die Masse. Er vertreibt sie im eigenen Meersburger Hofladen an der Stettener Straße und auf seinem Hof. Geliefert wird an Sterne-Restaurants und Romantik-Hotels in der Bodenseeregion und auf Anfrage. „Wir sind normalerweise an Weihnachten schon komplett ausverkauft“, sagt Edi.

Drei Standbeine – Hofladen, Besenwirtschaft und zehn Ferienwohnungen – brauche das Weingut zusätzlich, um zu überleben. Landwirt und Weinbauer, das sei eine harte Arbeit, sagt Josefine, die 83-jährige Mutter von Edi, und meint: „Lohnen tut es sich nur, wenn man mit Herz und Leidenschaft dabei ist und das mag, was man tut!“

An Leidenschaft fehlt es Thomas „Edi“ Geiger nicht. Er ist vom Ehrgeiz sowohl im Keller als auch auf der Rennstrecke getrieben. Bekannt als der „schnellste Winzer Deutschlands“, fährt er immer noch bis zu drei Superbike-Rennen im Jahr mit seiner 160 PS-starken Suzuki-Maschine – und das höchst erfolgreich im Profi-Bereich. Auch im Weinkeller strebe er stets nach Perfektion. „Am Bodensee ist das Niveau so hoch, jeder gibt alles, da musst du zu 100 Prozent Gas geben“, sagt der preisgekrönte Winzer, der nach einer Schreiner- und Weinbaulehre die Ausbildung zum Meister und Betriebswirt gemacht hat.

Abheben, das ist aber nicht seins. „Das Wichtigste im Leben ist, dass du immer auf dem Boden bleibst“, sagt der Landwirtssohn. Seine Kindheit hat es ihn gelehrt: „Wir waren arm und mich haben sie als kleiner Bub immer als Bauer gehänselt.“ Deshalb wollte er immer mehr als nur ein mittelmäßiger Winzer sein. Er machte aus dem Ackerbau- und Viehzuchtbetrieb seiner Eltern eines der erfolgreichsten Privatweingüter am Bodensee.

Der Winzer strotzt vor Energie, und das obwohl er seinen Beruf, sein PS-starkes Hobby und seine Familie mit vier Kindern unter einen Hut bringen muss. „Mein Tag beginnt um fünf Uhr morgens und als Chef packe ich ständig mit an. Die harte Arbeit in den Weinbergen ist der Garant für unseren Erfolg“, sagt er. Das mache ihn heute stolz darauf, wo er herkommt: „Ich bin von Herzen ein Bauer!“